Es ist Donnerstag und eigentlich bin ich platt vom Tag. Trotzdem raffe ich mich auf: Auf diese Sober-Sensation-Party habe ich mich seit Wochen gefreut. Lieber hingehen und früh abhauen, als es komplett zu verpassen. Aber wofür? Denn ich habe irgendwie keine Ahnung, was mich da erwartet. Sober Sensation. Alkoholfrei, bzw. nüchtern feiern. Tanzen? Quatschen? Was geht da? Hilf nichts: Hingehen und rausfinden.

Begriffserklärung Nüchtern vs. Alkoholfrei

Für die meisten bedeuten nüchtern und alkoholfrei das Gleiche. Für viele andere, und wenn man drüber nachdenkt, ergibt das auch Sinn, nicht: Während alkoholfrei Alkohol ausschließt, bedeutet nüchtern, dass auch alle anderen Drogen, Substanzen, wie man jetzt gerne sagt, wegbleiben. Bei der Sober Sensation steht nüchtern, also alkohol- und drogenfrei, im Zentrum.

Da ich auch während meiner alkoholreichen Zeit keine anderen Drogen (neben Zigaretten rauchen) genommen habe, bezieht sich meine Nüchternheit primär aufs Trinken. Da ich aber auch weiterhin keine Drogen nehme, bezieht sich auch auf alles andere.

So sieht es da aus

Silent Disco Sober Sensation Hamburg 2024

Als ich ankomme, ist die Location, das Food Lab Hamburg, halb gefüllt, nicht zu voll, nicht zu leer. Die Besucher/innen tragen Kopfhörer um den Hals und der Veranstalter Gideon Bellin erklärt das Prinzip:
Drei DJs an den Mischpulten, drei Kanäle auf den Kopfhörern. Jeder DJ hat eine eigene Farbe. Man kann zwischen Rot, Blau und Grün wählen.

Heute findet die Sober Sensation also als Silent Disco statt. Stark, wollte ich immer mal machen! Schon dafür hat sich das Herkommen gelohnt.

Erstmal bin ich kurz baff von der super Sound-Qualität – klar, gute Kopfhörer. Ich kann es nach eigenem Belieben lauter und leiser stellen, zappe durch die drei Kanäle und wähle den, der mir gerade am besten gefällt: blau, Elektromusik.

Um mich herum sehe ich die Leute zu dem gleichen oder einem anderen Takt wippen: An der leuchtenden Farbe der Kopfhörer sieht man, wer welchen Kanal hört.

Ich klicke aus Interesse weiter. Roter Kanal. Rihanna. Wie soll man da nicht hängen bleiben? Andere, die die gleiche Musik und Farbe auf den Kopfhörern haben und ich finden uns zusammen. Wir tanzen ab, lachen uns dabei ein bisschen kaputt, high fiven zum Ende des Songs, nicken uns anerkennend für die körperlich herausragende Leistung zu.

Ich gehe zurück zum blauen Kanal. Elektro höre ich lieber alleine. Das ist irgendwie besser für mich. Darum löse ich mich räumlich ein bisschen von der Gruppe und mache mein Ding.

Später findet sich die Rihanna-Crew wieder zusammen. Eine Sober-Sensation-Besucherin sucht den Blickkontakt zu mir und zeigt auf den rotleuchtenden Kreis an ihrem Kopfhörern. Ich schalte zum entsprechenden Kanal. Ahhh. Nein. Nicht mein Song. Ich lächele und schüttele den Kopf, sie versteht. Ich zippe zurück zu blau, die Crew tanzt weiter und wir kommen später wieder zusammen.

So ist das an der Bar

Sober Bar bei der Sober Sensation

Bier, Gin Tonic,…. Ich bin irritiert. Ich dachte, es geht hier um nüchternes Feiern. Achso. Hier steht nicht „alkoholfreies Bier“ oder „alkoholfreier Gin Tonic“, weil ja eh alles alkoholfrei ist.

Als ich zur Bar gehe, merke ich, dass ich bisher kein einziges Wort gewechselt habe. Die Kommunikation lief bisher ausschließlich über Zunicken und wildes Gestikulieren ab. Lustig, denn dafür habe ich an diesem Abend schon viel erlebt.

Ich hole schon mal tief Luft und bereite mich auf das Anschreien des Barpersonals vor, um gegen die Musik und die Gespräche um mich herum anzukommen.

Ich nehme die Kopfhörer ab und … Stille. Keine Musik, keine kreischende Meute, nichts. Nur ein paar quietschende Sneakers auf dem Boden und jemand, der gerade irgendwo den Madonna-Song, der auf dem roten Kanal läuft, mitsingt.

„Was darf es sein?”, fragt mich Volkan. Das Gesicht kenne ich doch! Volkan hat früher mal bei nüchtern.hamburg gearbeitet hat. Der alkoholfreie Späti hat leider irgendwann schließen müssen, das HQ in Berlin gibt’s weiterhin. Wir unterhalten uns kurz, dann fällt mein Blick hinter ihm auf die Getränkekarte.

Bier, Gin Tonic,…. Ich bin irritiert. Ich dachte, es geht hier um nüchternes Feiern. Achso. Hier steht nicht „alkoholfreies Bier“ oder „alkoholfreier Gin Tonic“, weil ja eh alles alkoholfrei ist.

Ich stottere fast ein bisschen als ich „Einen Gin Tonic, bitte.“ sage ich, und muss mich inständig zusammenreißen, nicht „Alkoholfrei!!“ hinterherzulegen und penibel darauf zu achten, dass ich nicht missverstanden werde.

Ich lasse die Kopfhörer noch einen Moment um den Hals hängen und beobachte das lautlose Tanzgeschehen.

Die Sober-Sensation-Besucher/innen sind in ihrem eigenen Element. Jede/r tobbt sich auf einer der drei Musikrichtungen aus. Manche gehen raus, tanzen mit ihren Kopfhörern draußen an der Elbe. Und wieder, alles still. NiceDry_Event hat das in diesem Video ganz gut eingefangen.

So ist es, wenn man nüchtern feiert

Gott im Himmel, was ist so besonders? Silent Disco, kennt jeder, und dann halt keinen Jägermeister. — Sollte man meinen, aber nein. Da ist noch mehr. Denn alkoholfrei oder nüchtern Feiern gehen, unterscheidet sich nur an der Bar.

Zurück auf der Tanzfläche höre ich in mich hinein. Was ist hier anders? Irgendwas ist anders. Mir fällt mir auf, dass ich mich weniger in Acht nehmen muss als sonst im Club. Hier wird mich keiner betrunken anrempeln, hier kaspert gleich keiner rum. Ich stelle die Musik lauter, denn hier ist einfach mal Ruhe.

Ich glaube zu sehen, wer eher die Distanz sucht und wer eher gerne mittendrin und mit allen ist. Niemand muss hier was sagen, denn alle merken und respektieren die anderen einfach. Man kann auch in einer Menge alleine sein wollen. Ich kenne das Gefühl sehr gut.

Ich gehe gerne alleine tanzen, besonders zu elektronischer Musik. Ich komme gerne früh, damit ich gehen kann, wenn es mir zu voll wird. Denn zu späterer Uhrzeit ändert sich die Stimmung. Und ja, ich werde irgendwann müde, weil ich in der Regel um 6 Uhr (ohne Wecker) wach werde.

Wie zuanfang erklärt, bedeutet nüchtern feiern hier nicht nur frei von Alkohol, sondern auch ohne alle anderen Drogen. Nach 10 Jahren Berlin eine willkommene Abwechselung. Denn machen wir uns nichts vor: Die Clubs wählen ihre Öffnungszeiten nicht aus, um auch Schichtarbeitende zu inkludieren.

Bei der Sober Sensation sind alle im gleichen Zustand wie ich. Ich bin nicht die Einzige, die nicht drauf und drüber ist. Ich bin eine von vielen. Und das ist irgendwie ganz schön. So wie es auf dem Oktoberfest irgendwann vermutlich sehr homogen ist und im Berghain morgens um 5 auch. Ja, es gibt überall Ausnahmen, aber lass mich mal kurz beim Thema bleiben.

Es ist eigentlich keine große Überraschung: Man sucht seinesgleichen. Ich fand es früher nicht so besonders gut, wenn ich schon (hart) angetüdelt war und andere dabei waren, die entweder super nüchtern oder auf anderen Substanzen waren. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, ich habe auch die Farben dazwischen schon gesehen.

Keiner trinkt und keiner redet darüber. Danke.

Nein, die Sober Sensensation ist keine Party, bei der nicht-trinken im Zentrum steht oder bei der man mit ganz viel Willen beweisen muss, dass man auch ohne Alkohol Spaß haben kann. Manchmal fühlt es sich so an als müsse man das ganz doll beweisen. Verstehe ich auch, denn alkoholfrei wird vielerorts noch mit langweilig gleichgesetzt.

Es gibt keine Schilder “Stay dry!” oder “nüchtern und nicht schüchtern” oder sowas. Kein Alkohol ist an diesem Abend so gesehen kein Thema. Auch mal schön. Ich beschäftige mich gerne jeden Tag, hier auf dem Blog und in meinen Podcasts, im Supermarkt usw, damit, aber freue mich, dass es hier mal gerade nicht Thema ist.

Ist es trotzdem schön zu wissen, dass es das ist, was alle hier gemeinsam haben? Ja.

Über die Sober Senation, alkoholfrei und nüchern feiern, habe ich auch in der Podcast-Folge 10 von Radio 0,5 FM gesprochen. Ab Minute 48 ungefähr. Wobei natürlich die ganze Folge hörenswert ist:

Es ist nicht alles besoffen oder nüchtern, schwarz oder weiß

Ich möchte dringend vermeiden, dass ab- oder ausgegrenzt wird. Es ist doch schön, wenn Leute mit und ohne Alkohol (ich bleibe jetzt mal bei einem Stoff, denn sonst wird das hier zu unübersichtlich) zusammenkommen. Es geht mir nicht darum, dass niemand mehr Alkohol trinkt soll oder alle mal nüchtern feiern gehen müssen. Es gibt die unterschiedlichsten Trinkverhalten und Reaktionen darauf, darum sollte man nicht alle über einen Kamm scheren.

Die eine Partyreihe soll die andere nicht ablösen, es ist doch genug Raum und Platz für alle da.

Ich werde weiter überall feiern, egal, ob und wer da trinkt. Das Oktoberfest hat mich noch nie interessiert, aber Karneval würde ich mir gerne mal nüchtern ansehen. Ich werde auch weiter in Clubs gehen. Aber ich würde mich auch echt freuen, wenn es mehr Events „mit ohne“ geben würde.

Über die Sober Sensation

Die Partyreihe Sober Sensation wurde 2016 von Gideon Bellin ins Leben gerufen. Ziel ist, alle Sinne in den Mittelpunkt zu stellen und diese auf natürliche Weise anzusprechen. Alle Termine und weitere Hintergrund-Infos dazu gibts bei sobersensation.com.


Für alle, die alkoholfreie Events suchen, gibt es jezt bei Château Zero auch die Rubrik Events.

Du hast ein Event, das Du gerne bei Château Zero posten würdest? Dann trage die Details hier ein:

Montags gibt’s ein Update! Bei Fragen zu Medienpartnerschaften, Discount-Codes, Änderungen usw. wende Dich bitte an felicitas@chateau-zero.com

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Seit September 2022 hat sich der Blick ins Glas verändert und Felicitas trinkt sich nur noch alkoholfrei durch die Regale. Was schmeckt wie und warum? Was tut sich in der alkoholfreien Industrie und wie geht es weiter? Und wie sieht es in anderen Ländern aus? Felicitas versucht diese Fragen zu beantworten.

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